Montag, 17. September 2012

Die Gretchenfrage


„Nun sag, wie hast du’s mit der Religion? Du bist ein herzlich guter Mann, allein ich glaub, du hältst nicht viel davon.“ fragt Gretchen den lieben alten Faust beim ersten Date und obwohl die Bekanntschaft zu eben jenem ihrer Gesundheit bekanntlich höchst abträglich sein wird, weil er ein ziemlich notgeiler Wichser ist, muss man doch fragen: Hat er da nicht recht, der Doktor Faustus, trotz aller seiner Fehler, wenigstens in diesem einen Punkt? Ist es nicht vernünftig, von der Religion nichts zu halten, zumal wenn man "ein herzlich guter Mann" ist? (Epic Fail, liebes Gretchen)

Natürlich ist es das, sagt der aufgeklärte Mann von der Straße. Schauen wir doch nur einmal in die Nachrichten: Ein scheinbar eher schlecht gemachtes Mohammed-Filmchen treibt die muslimische Welt auf die Straße, was sogar soweit führt, dass Kreuzfahrtschiffe, diese letzte Bastion westlicher Kunst und Kultur, einen großen Bogen um die gefälschten Gucci-Gürtel auf den Märkten von Algier machen müssen. Das muss man sich mal vorstellen! Überhaupt, diese Muselmannen. Gähn. Kommt einem die Story nicht irgendwie bekannt vor? Irgendwas unschmeichelhaftes über Mohammed in Bild oder Ton aus dem Westen und automatisch machen sie heute a bisserl früher Schluss auf der Arbeit, kaufen sich auf dem Nachhauseweg eine hübsche blau-weiße Flagge (nein, nicht die griechische...) und veranstalten ein munteres Lagerfeuer. Das ist dann bei Licht betrachtet auch alles ein bisschen sinnlos und nützt niemandem, außer vielleicht der skrupellosen, langfingrigen israelischen Flaggenindustrie.

(Für alle, die ihre Kenntnisse über den Islam im Folgenden noch rasch aufbauen oder vertiefen möchten, macht dir hier nochmal mein Lieblingskonvertit Pierre Vogel den Islam in 30 Sekunden. Kann auch nicht jeder.)

Also alles ein muslimisches Problem?  Eines, dass sich nur daraus ergibt, weil der Islam unfähig ist, sich den Gegebenheiten der modernen Freiheitsgesellschaften anzupassen, selbst wenn das bedeutet, diverse Schmuddelfilmchen und nicht besonders witzige Karikaturen über sich ergehen lassen zu müssen? Dieses Argument hört man hierzulande sehr oft, gerade, aber beileibe und leider Gottes nicht nur aus der Obstabteilung der deutschen Politik. Der Erfolg des sturzlangweiligen Buchs von Dauer-Facepalm Sarrazin, das zum Bestseller avancierte, obwohl es keine Sau tatsächlich gelesen hat, beweist nicht etwa, dass er Recht hat, sondern nur, dass hier etwas deutlich im Argen liegt. Eine schier unüberbrückbare Kluft hat sich in den letzten elf Jahren aufgetan, zwischen dem ach so aufgeklärten Orient und dem ach so abgründig rückständigen Orient. Wirklich?

Naja. Zuerst einmal muss aller Fairness halber angemerkt werden, dass die westliche Kultur, die jetzt schön von oben herab den (600 Jahre jüngeren) Islam für seine Rückständigkeit verurteilt, Schmankerl und Bonmots wie Kreuzzüge und Judenhass in General erfunden hat und vielleicht, aber nur vielleicht, auch nicht alles kulturell richtig macht und man vielleicht, aber auch nur vielleicht, auf den verrückten Gedanken kommen könnte, andere Sitten und Kulturen zu respektieren statt wiederholt zu verletzen. Man kann sich also vielleicht gütlich darauf einigen, dass der Islam dann doch nicht an ALLEM Übel dieser Welt schuldig ist? Och Menno. Aber irgendjemanden wird man doch wohl noch verantwortlich machen dürfen!


Natürlich darf man. Der Doktor Faustus des 21. Jahrhunderts und der wohl ekelhaft selbstverliebteste Mensch seit Adonis himself, Richard Dawkins (schmeichelhaft von seinen Freunden auch Darwins Rottweiler genannt) ändert wenig an der Ausgangslage, geht aber direkt in die Oberliga. Islam, pff, Religion an sich ist das Problem, konstatiert er vollmundig in seinem Bestseller "Der Gotteswahn":



„Stellen wir uns doch mit John Lennon mal eine Welt vor, in der es keine Religion gibt – keine Selbstmordattentäter, keinen 11. September, keine Anschläge auf die Londoner U-Bahn, keine Kreuzzüge, keine Hexenverfolgung, keinen Gunpowder Plot, keine Aufteilung Indiens, keinen Krieg zwischen Israelis und Palästinensern."


Super oder? Klingt alles ziemlich logisch und ist auch ganz hübsch geschrieben, mit Lennon und so, voll poetisch und so, lalala imagine. Schade, dass es Bullshit Unfug ist. Dawkins suggeriert, dass eine Welt, in der die Religion (gerne auch zwangsweise) abgeschafft werden würde, automatisch eine friedliche seien werde, weil sich die Konfliktpotentiale erübrigen würden. Ach Richard, where art thou? Du bist doch so eine Art Biologe, dann müsstest du doch auch wissen, dass Menschen von Natur aus dämlich und habgierig sind und territoriale und ökonomische Konflikte sich mit Sicherheit einen anderen Deckmantel suchen würden, um ihr Pulverfass zu entzünden. Dann ists halt nicht mehr die Konfession, sondern die Intimhaarfarbe oder so. Und nur mal so ganz nebenbei: Der gute alte aufgeklärte Westen (ja, der mit dem Islambashing) hat die eine oder andere religionsfreie Gesellschaft hervorgebracht, die zwar von ganz schön coolen Schnurrbärten angeführt wurde (wieder voll im Trend!), die halt aber dafür irgendwie mehr Menschen auf dem Gewissen hat wie so manche vollwertige Religion.

Also was tun? Mit geht offensichtlich nicht, ohne aber irgendwie auch nicht. Staatsreligion? Religionsfreiheit? Laizismus? Atheismus? An dieser Stelle muss leider ein bisschen graue Theorie rein: Deutschland ist (noch) ein Staat mit sogenannter positiver Religionsfreiheit, das bedeutet prinzipiell sind Religions- und Glaubensgemeinschaften auch im öffentlichen Raum willkommen, aber - und jetzt kommt das aber, nur dann, wenn das Ringelreihentanzen, was sie veranstalten, mit dem Grundgesetz d'accord geht. Und das wars dann auch schon. So einfach ist das, würde es denn funktionieren. Der Staat und die Gesellschaft akzeptiert den Spleen von Jesus-, Mohammed- und Buddha-Freaks, während ebenjene halt den guten alten Staat akzeptieren. Diese Offenheit und beiderseitige Verpflichtung - und keine Intoleranz von privater oder staatlicher Seite aus (ja, auch du mein Sohn Frankreich) - macht eine moderne Gesellschaft aus.

Das war jetzt ein schwerer Brocken und naturgemäß kann man bei einem so diffizilen Thema nicht davon ausgehen, dass der gemeine Sprechgesangsartist dazu besonders viel intelligentes gesagt hätte. Haftbefehl zum Beispiel hat ein, wie soll man sagen... etwas simples Lied zum Thema Palästinakonflikt gemacht, das aber eine so uuuunglaublich gute Line enthält, dass man über alles andere gütlich hinwegsehen kann und sich das Lesen des ganzen oberen Textes eigentlich hätte sparen können:



"Mensch ist Mensch, egal ob Isaak ob Ismael."



In diesem Sinne ist dann eigentlich doch alles in Ordnung.




Hier gehts zum Sprechgesangsartisten der Woche: