Donnerstag, 30. August 2012

Dann geh doch mal rüber in die Favela



Deutschland, das ist ja nun auch kein Geheimnis, muss ein ganz und gar furchtbares Land zum Leben sein. Eines, in dem die Grauen Herren von Momo definitiv noch zu den cooleren Motherfuckern gehören würden. Eines, in dem das Wetter schlecht, die Frauen hässlich und das Essen mies ist. Kurz, ein Ort, wo kein vernünftiger Mensch jemals leben wollen würde, wenn er denn eine Wahl hätte. Und dummerweise hat man die in der Regel nun mal nicht. Also Frust rauslassen und klarstellen: Überall bitte - nur nicht hier. Wer das so sieht? Anscheinend alle, denn laut aktuellen Umfragen erreicht der Zufriedenheitswert der deutschen Bevölkerung auf einer Skala von 100 Punkten ernüchternde 42,4. Das ist dann natürlich schon ein vernichtendes Urteil, selbst in einer Liga, in der sich sonst nur noch auserlesene Länderperlen wie Kirgistan tummeln, wo das Schafeficken noch zum guten Ton gehört. (An dieser Stelle sei auch ein wenig Selbstkritik angebracht: Nicht einmal die von mir so verehrten Sprechgesangsartisten machen bei dieser allgemeinen Nörgelei eine Ausnahme, im Gegenteil gehören sie im Regelfall zu jenen, die alles und jeden hierzulande, besonders aber den Staat, die Polizei, die Politiker, die Frauen und die Spießerz außerordentlich beschissen finden. Allerdings mag man ihnen diese Verbissenheit nachsehen, kommen sie doch in der Regel aus beliebten Urlaubs- und Naherholungsgebieten wie Kurdistan, Iran oder Srebrenica - und dass Mitteleuropa im direkten Vergleich dagegen abstinkt, ist ja wohl mehr als nachvollziehbar.)

Warum aber finden es alle hier bloß so unlebenswert? Das lässt sich schnell beantworten. Das Leben hierzulande, das sei nunmal kein Leben, heißt es. Immer nur Arbeit, Arbeit, dabei weiß man doch nicht erst seit Deichkind, dass die volle Kanne nervt. Und es kommt ja noch schlimmer: Die Hälfte des erwirtschafteten Geldes kriegt Vater Staat, das Benzin wird immer teurer und ehe man sichs versieht steht man mit einem Bein im Grab und hat Rücken. Ein Leben, nein, dass ist das wirklich nicht. Wie viel besser haben es da unsere Freunde anderswo, in Spanien oder noch besser in Südamerika. Die (Achtung, geistreiches Bonmot!) leben nicht um zu arbeiten, sondern die arbeiten, um zu leben. Die lassen auch mal Fünfe gegen Willy Grade sein, die Stechuhr ausgestellt, das Mittagspäuschen ausgedehnt. Savoir Vivre, wie der Erbfeind de Franzos sagen würde. Im Ggegensatz zu uns wissen die einfach, wie man lebt. Und ach, wie schmerzlich wird uns das bewusst, wenn wir für zwei erbärmliche Wochen im Jahr an den Strand entfliehen, nur um uns selbst vor Augen zu führen, wie viel besser es der spindeldürre brasilianische Hilfsarbeiter in seiner Wellblechhütte hat, der "mit ganz ganz wenig zufrieden ist", während wir selbst vor Konsum und Materialismus ersticken. Oder wenn wir, abenteuerlustig wie Indiana Jones (und natürlich mit Reiserücktrittsversicherung ausgestattet) ein Jahr zwecks Selbstfindung nach Chile aufbrechen, um auf unserem Facebookprofilbild mit kleinen, putzigen Aidswaisen zu posieren und nach der Rückkehr feststellen, dass wir uns nicht mehr einfügen können in die Tristesse des Roboterlandes, denn man fühlt sich nun doch "jetzt mehr wie ein richtiger Chilene". Es ist dieser unschlagbare Reiz des Anderen, des Fremden, des Aufregenden, der uns stets aufs neue so klein und minderwertig fühlen lässt.

Diese romantische Verklärung von fremden Ländern und Kulturen ist nicht neu, denn schon unser liebster Kinderficker seit Wolfgang P. schöpfte einen Großteil seiner kreativen Schaffenskraft aus seinen berühmt-pornösen Italienreisen. Aber leider lässt sie einen klitzekleinen Aspekt außer Acht: Die Realität. Nur weil wir denken, der Südamerikaner an sich (es gibt doch keinen schöneren Rassismus als den ethnischen Singular) ist vollends zufrieden, wenn es bei der Grundversorgung etwas einfacher zugeht, heißt das nicht, dass er es auch ist. Vielmehr bedeutet das, dass er sich mit seiner Situation arrangiert hat und vielleicht, aber auch nur vielleicht, seinerseits neiderfüllt über den großen Teich blickt und sich nach Deutschland wünscht. Wenn in Spanien jeder zweite Jugendliche arbeitslos ist (und da gibts kein Hartz IV), dann hängen die nachmittags nicht savoir-vivre-mäßig auf der Straße rum und betrinken sich, weil sie "eben wissen wie man lebt", sondern, weil sie nichts anderes zu tun haben. Das sind Länder am wirtschaftlichen Abgrund und wenn man ein ganz klein wenig ehrlich ist, dann geht es Deutschland (und damit uns) auch deswegen so gut, weil hier eben alles ein wenig spießiger zugeht und Steuernzahlen nicht nur theoretisch praktiziert wird. Zugegeben, das klingt langweilig und ziemlich uncool. Das klingt nach dem dicken Jungen mit der Brille, der früher von den Footballspielern in den Spind gestopft und um sein Milchgeld erleichtert wurde. Und genau das ist es auch. Aber den Preis muss man für einen der höchsten Lebensstandarts überhaupt dann eben zahlen und wenn man sich so im Rest der Welt umschaut, dann muss ich sagen, hey, ist okay, den zahl ich. Gibt Schlimmeres. Es soll Leute geben, die würden dafür töten, unsere Probleme zu haben.

Aber bevor jetzt irgendjemandem einfallen sollte, gleich in tumbe Deutschtümelei zu verfallen, gilt es  klarzustellen: Nicht alles von drüben ist automatisch schlecht. Mir fallen mindestens fünf Millionen Dinge ein, die in besagten Ländern wirklich besser sind und es gibt keinen Grund, das zu verheimlichen. Denn nicht alles, was von hier kommt, ist natürlich automatisch geil (zum Beispiel dem guten alten Hitler seine Autobahnen, der nach neuesten Erkentnissen übrigens so krass inzestiös gezeugt wurde, dass er in jedem größeren europäischen Königshaus eine Traumkarriere hätte starten können). Und ja, ein bisschen mehr Lockerheit stünde uns auch ganz gut zu Gesicht. Aber wenn die bei der ständigen Nörgelei und Unzufriedenheit mit dem eigenen Schicksal anfangen würde, dann wäre das vielleicht nicht der dümmste Anfang.

Und bevor es jetzt zu schwul pathethisch wird, lassen wir es gut sein und überlassen die abschließenden Worte den großen deutschen Poeten und Sprechgesangsartisten der Woche, Sonny Black & Frank White, die vor fast zehn Jahren einen der besten Deutschrapklassiker aller Zeiten mit dem passenden Titel "Vaterland" geschaffen haben. Die inhaltliche Aussage ist zwar gleich null und der stinknormale Representertrack hat bis auf den Titel überhaupt nichts mit unserem Thema zu tun, aber leider Gottes gibt es dazu rapmäßig nur undifferenzierten Scheiß zu finden. Naja, auch Sprechgesangsartisten haben blinde Flecken.


Hier gehts zu den Sprechgesangsartisten der Woche:


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